Mehr Spender durch neue Gesetze?

 

Erfolg und Mißerfolg

Das Geschäft mit den Organen

EU legt Lösungsvorschlag vor

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Die jüngst hierzulande bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten und Ungereimtheiten bei der Verteilung von Organspenden sind sicherlich nicht dazu angetan, mehr Menschen dazu zu bewegen, in die Nutzung lebenswichtiger Organe wie Herz, Lunge oder Leber nach ihrem Tod einzuwilligen. Derzeit warten über 60.000 Menschen in der EU auf solche Spenden, und täglich stirbt unterdessen durchschnittlich ein Dutzend von ihnen. In Deutschland und einigen anderen Ländern Europas wird das Problem schon seit längerem heftig diskutiert, was in Großbritannien beispielsweise zu einem eigenartigen Lösungsvorschlag geführt hat: Demnach soll Organspendern vom Staat das Begräbnis gesponsert werden. Eine Maßnahme, die einen finanziellen Anreiz zur Spende bieten soll. Die Empfehlung stammt aus einem Bericht des Nuffield Council on Bioethics, in dem u.a. Möglichkeiten zur Erhöhung der Zahl von Organspendern ausgelotet werden, denn die liegt im Vereinigten Königreich weit unter dem Bedarfsniveau an gesunden Organen, ebenso wie in allen anderen Ländern der Europäischen Union. Dabei zählt die Spenderquote unter den Briten, bei denen jährlich 16,4 Spenden auf 1 Mio. Einwohner kommen, im europäischen Vergleich (2010) nicht zu den geringsten. An der Spitze liegen Spanien mit 32 und Portugal mit über 30 je 1 Mio. Einwohner. Am anderen Ende der Skala befinden sich Griechenland, Rumänien und Bulgarien mit nicht einmal 4. Deutschland rangierte mit 15,8 Organentnahmen pro Million unter dem EU-Durchschnitt, und im Jahr 2011 war ein weiterer Rückgang um 7,4% zu verzeichnen.

Erfolg und Mißerfolg

Der Mangel an Organspendern liege an den gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen, heißt es oft, woran sich die Aufforderung zur Reform der Bestimmungen anschließt. In der Tat zeigen die Zahlen, daß Länder wie Großbritannien und Deutschland, die mit einer "Zustimmungslösung" operieren, eine deutlich geringere Anzahl an Organtransplantationen durchführen können als andere Länder. Die Staaten, die sich für eine "Widerspruchslösung" entschieden haben, gehen grundsätzlich davon aus, daß jeder ein Organspender ist, der dem nicht ausdrücklich widerspricht. Zwar reicht die Quote der Organspenden auch in diesen Ländern nicht an den Bedarf heran, aber prozentual können weit mehr Patienten ein Organ erhalten als in EU-Mitgliedstaaten mit einer "Zustimmungslösung".

Das größte Erfolgsbeispiel auf dem Gebiet der Organtransplantation, Spanien, verfügt neben dem gesetzlichen Gerüst über ein eigens eingerichtetes Netzwerk von Transplantationskoordinatoren, die potentielle Spender ausfindig machen und fachliche Beratung, auch für Hinterbliebene, anbieten. Diese Infrastruktur sorgt in Verbindung mit solider staatlicher Unterstützung für die transplantierenden Krankenhäuser dafür, daß die Möglichkeit zur Organentnahme oft optimal genutzt werden kann. In Deutschland hingegen wurde wiederholt die Kritik laut, potentielle Organspender würden häufig nicht rechtzeitig identifiziert, und vielen Krankenhäusern mangele es besonders an finanziellen, technischen und zeitlichen Kapazitäten, um mehr Organspenden zu bewältigen. Ob das jetzt geänderte Transplantationsgesetz hier zu maßgeblichen Verbesserungen führt, ist fraglich.

Ähnliche Probleme haben auch andere Länder, was im Ergebnis dazu führt, daß 2010 insgesamt weniger als 50% der Organe zur Verfügung gestellt werden konnten, die in Europa gebraucht wurden. Die Bedarfssituation kann zwar durch die grenzüberschreitende Bereitstellung von Transplantaten, wie sie in den beiden Verbundsystemen Eurotransplant (mit Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien) und Scandiatransplant praktiziert wird, gemildert, jedoch nicht beseitigt werden.

Das Geschäft mit den Organen

Die weiterhin klaffende Lücke zwischen niedrigem Angebot und der steigenden Nachfrage führt inner- und außerhalb der EU zu Ausbeutung und kriminellen Machenschaften. So hat sich ein regelrechter Transplantationstourismus in Länder entwickelt, in denen keine, unzureichende oder nicht beachtete gesetzliche Regelungen zu Organspenden existieren. Durch eine Reise nach Pakistan, Südafrika und in viele andere Staaten läßt sich der europäische Grundsatz, daß Organspenden freiwillig und unentgeltlich sein müssen, umgehen. Die EU-Länder wollen durch das Verbot der Kommerzialisierung dem Mißbrauch mit dem Handel mit den lebensrettenden Körperteilen vorbeugen. Dieser Grundsatz wurde 2010 in einer europäischen Richtlinie bekräftigt, ist jedoch auch in Europa umstritten. Seine Gegner vertreten die Ansicht, daß die Legalisierung des Handels mit freiwillig gespendeten Organen eine Vergrößerung des Angebotes zur Folge hätte und den illegalen Handel eindämmen könnte.

Zu den Erklärungen für das derzeitige Defizit in der EU zählen Mängel bei transplantationsspezifischen Infrastrukturen im Gesundheitswesen, komplizierte Prozeduren im Zusammenhang mit Organspenden, ein niedriges Informationsniveau und andere Faktoren, die die öffentliche Meinung beeinflussen. Von besonderem Gewicht für die Spendenrate ist jedoch die gesetzliche Regelung, die den Rahmen festsetzt, in dem sich das System entwickelt. So unterstützt ein System der Widerspruchsregelung offenbar die öffentliche Akzeptanz und die Bereitschaft, Organe zu spenden. Zu diesem Schluß führt zumindest das Beispiel von aneinandergrenzenden Ländern mit unterschiedlichen gesetzlichen Lösungen. So ist die Spenderlage in Österreich und Belgien (Widerspruchsregelung) erheblich besser als die in Deutschland und in den Niederlanden (Zustimmungslösung). Als Belgien Ende der 1980er Jahre von einer Zustimmungs- auf eine Widerspruchsregelung umstellte, hat sich die Zahl der gespendeten Organe binnen zwei Jahren nahezu verdoppelt. Eine parallele Entwicklung war auch in Österreich nach der Einführung der Widerspruchslösung zu beobachten, wobei die neue Regelung mit dem Einsatz von Transplantationskoordinatoren in Kliniken einherging. Daher auch die immer wieder aufflammende Debatte um die Zustimmungslösung in den Ländern, in denen eine solche gilt.

Und auch Brüssel mischt sich ein: Schon seit einigen Jahren pocht die EU-Kommission auf Verbesserungen bei Gesetz und Praxis der Organspende in den Mitgliedstaaten, namentlich auf eine europaweite Einführung der Widerspruchslösung. Diese kann zwar von der EU-Behörde nicht durchgesetzt werden, da die Kommission nicht über die erforderlichen Kompetenzen im Gesundheitsbereich verfügt, aber in Kommentaren von Gesundheitskommissar John Dalli sowie indirekt auch in den einschlägigen Rechtsakten und Mitteilungen der EU-Behörde wird eine entsprechende Gesetzesänderung auf die sanftere Art nahegelegt.

EU legt Lösungsvorschlag vor

Angesichts zehntausender Patienten, die in der EU auf Wartelisten für Organe standen, veröffentlichte die EU-Kommission im Mai 2007 eine Mitteilung, in der sie auf die dringlichsten Probleme - den latenten Organmangel, Transplantationsrisiken und Organhandel - einging und ein Rechtsinstrument ankündigte, für das sie im Dezember 2008 einen Entwurf vorlegte. Mit dem Richtlinienvorschlag einher ging die Mitteilung zu einem Aktionsplan, durch den die Kommission die Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten zu stärken beabsichtigte. Der Aktionsplan legt zehn Schwerpunktmaßnahmen fest, die sich auf die übergeordneten Ziele der Erhöhung des Organangebots, der Förderung von Leistungsfähigkeit und Zugänglichkeit der Transplantationssysteme und der Verbesserung von Qualität und Sicherheit bei Spende und Transplantation beziehen. So wird u.a. der Einsatz von Transplantationskoordinatoren nachdrücklich empfohlen, ebenso der Aufbau eines Systems bzw. einer Struktur für den Organaustausch, die insbesondere auf Notfall- und Problempatienten abzielt, sowie Sensibilisierungsmaßnahmen für die Bevölkerung.

In der inzwischen verabschiedeten Richtlinie 2010/45/EU wird zunächst unterstrichen, daß die "breite Vielfalt an bereits bestehenden Zustimmungssystemen in den Mitgliedstaaten unberührt" und die Bereitstellung von Organen vollständig an die Erfüllung aller im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Anforderungen an Einwilligung, Ermächtigung oder Widerspruch geknüpft bleibt. Der Rechtsakt legt den gemeinsamen Rahmen für Qualitäts- und Sicherheitsstandards für eine Transplantation fest und soll Spender besser schützen sowie den Austausch zwischen Mitgliedstaaten und auch Drittländern auf dem Gebiet der Organspende und -transplantation optimieren. Die Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, ein System für Qualität und Sicherheit einzurichten, das die Parameter aller Glieder der Kette, von der Spende bis zur Transplantation, festlegt. Dazu gehören die Definition von Verfahren zur Rückverfolgbarkeit, die Festlegung von Standardverfahrensanweisungen und die Definition der Qualifikationen des Personals. Zu Spendern von sämtlichen bereitgestellten Organen müssen Mindestinformationen zu Spendertyp, Blutgruppe, Krankengeschichte des Spenders und Todesursache vorliegen. Für den Fall schwerwiegender unerwünschter Reaktionen soll ein Meldesystem sachdienliche Informationen übermitteln. Nach wie vor müssen Organspenden freiwillig und unentgeltlich sein. Allerdings kann eine Entschädigung gewährt werden, um einen Ausgleich der mit einer Lebendspende verbundenen Ausgaben und Einkommensausfälle zu bieten. Diese darf jedoch keinen finanziellen Anreiz darstellen.

Bis zum 27. August 2012 müssen die Mitgliedstaaten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, die erforderlich sind, um den Vorgaben der EU-Richtlinie nachzukommen. Anschließend sollen sie alle drei Jahre über weitere Aktivitäten und Erfahrungen mit der Umsetzung der Richtlinie Bericht erstatten.

Nachstehend ein Überblick über die Organspende-Regelungen in den EU-Mitgliedstaaten nebst Angaben zur Anzahl verstorbener Organspender je einer Million Einwohner des jeweiligen Landes.
 

Mitgliedstaat

Organspende-Regelung

Anzahl verstorbener Organspender je 1 Mio. Einwohner

Belgien

Widerspruchsregelung.
Angehörige des Spenders verfügen über ein Einspruchsrecht.

20,5

Bulgarien

Widerspruchsregelung.
In Notfällen ist eine Organentnahme jedoch auch beim Vorliegen eines Widerspruchs möglich.

2,7

Dänemark

Zustimmungsregelung.
Die Bereitschaft zur Organspende kann nicht nur über Spenderregister und Spenderausweis, sondern auch auf andere Weise schriftlich oder mündlich bekundet werden. In jedem Fall hat dann die Haltung der Angehörigen des Spenders kein Gewicht, es sei denn, dieser macht seine Bereitschaft ausdrücklich von deren Zustimmung abhängig.
Liegt bei einem Hirntoten keine Äußerung zur Organspende vor, so können dessen Angehörige über eine Spende entscheiden.

13,0

Deutschland

Zustimmungsregelung, nunmehr Entscheidungslösung genannt.
Organe dürfen nur entnommen werden, wenn der Tote zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt hat oder die nächsten Angehörigen bzw. eine benannte Vertrauensperson nach mutmaßlichem Willen des Verstorbenen eine solche erlauben. Künftig werden ab 16. Lebensjahr alle Krankenversicherten regelmäßig befragt, ob sie eine Spende nach dem Tod gestatten.

15,8

Estland

Widerspruchsregelung.

17,7

Finnland

Widerspruchsregelung.
Angehörige des Spenders verfügen über ein Einspruchsrecht.

17,0

Frankreich

Widerspruchsregelung.

23,8

Griechenland

Zustimmungsregelung.
Im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2010/53/EU wird zur Zeit die Einführung der Widerspruchsregelung diskutiert.

3,9

Irland

Zustimmungsregelung in der Praxis.
Es gibt keine direkte gesetzliche Regelung der Organspende.

12,6

Italien

Widerspruchsregelung.
Personen, die die Spende ablehnen, sollten im Widerspruchsregister gegen Organspende beim Centro Nazionale Trapianti eingetragen sein und müssen ihre Ablehnung zudem schriftlich dokumentieren, was auch für Italienurlauber gilt.

21,6

Lettland

Widerspruchsregelung.

14,8

Litauen

Zustimmungsregelung in der Praxis.
Es gibt keine direkte gesetzliche Regelung der Organspende.

10,9

Luxemburg

Widerspruchsregelung.

6,0

Malta

Zustimmungsregelung in der Praxis.
Es gibt keine direkte gesetzliche Regelung der Organspende.

22,5

Niederlande

Zustimmungsregelung.

13,7

Österreich

Widerspruchsregelung.
Personen, die die Spende ablehnen, sollten im Widerspruchsregister gegen Organspende beim Österreichischen Bundesinstituts für Gesundheitswesen (ÖBIG) eingetragen sein und müssen ihre Ablehnung zudem mündlich im Kreise der Angehörigen oder schriftlich dokumentieren, was auch für Urlauber gilt. Ein- und Austräge im Widerspruchsregister können ab einem Alter von 16 Jahren eigenständig vorgenommen werden.

23,3

Polen

Widerspruchsregelung.
Bei nichtpolnischen Staatsangehörigen wird zwar angenommen, daß keine Zustimmung vorliegt, dennoch wird empfohlen, seinen Willen durch Mitführung eines Schriftstückes, in dem die persönliche Entscheidung zweifelsfrei dokumentiert ist, mit sich zu führen.

13,3

Portugal

Widerspruchsregelung.

30,2

Rumänien

Zustimmungsregelung.

3,3

Schweden

Widerspruchsregelung.

12,6

Slowakei

Widerspruchsregelung.

16,8

Slowenien

Zustimmungsregelung.
Zusätzlich zur Willensäußerung des Spenders wird eine schriftliche Einwilligung der Verwandten ersten Grades verlangt.

20,5

Spanien

Widerspruchsregelung.
In der Praxis wird die Familie des Sterbenden konsultiert.
Es gibt kein nationales Spenderregister.

32,0

Tschechische Republik

Widerspruchsregelung.
In der Praxis wird die Ablehnung der Spende durch die Familie akzeptiert.

19,6

Ungarn

Widerspruchsregelung.
In der Regel wird die Familie des Spenders vor der Organentnahme informiert; widerspricht diese der Spende, so wird ihr Wunsch in der Praxis respektiert.

15,9

Vereinigtes Königreich

Zustimmungsregelung.
Die Familie des Spenders wird in jedem Fall konsultiert.
2008 riet die Organ Donation Taskforce von der Einführung der Widerspruchsregelung ab. Diese Entscheidung soll 2013 erneut überprüft werden.
Die walisische Regierung berät z.Z. die 2009 angekündigte Einführung einer Widerspruchsregelung. Der Entwurf für die "Organ Donation Bill" soll noch dieses Jahr vorgelegt werden.

16,4

Zypern

Widerspruchsregelung.

4,4